Auch in der sechsten Runde der Challenge League verbleibt der FCA sieglos. Die Aarauer müssen auswärts gegen Servette in Genf die höchste Saisonniederlage von 0:3 hinnehmen
Wen man auch fragt: Die Frage, welchen Spielertyp der FC Aarau in der aktuellen Krise am nötigsten hat, die Antwort lautet meistens: Ein Spielmacher. Ein Zehner mit einem Schuss Genialität, der das Scharnier zwischen Mittelfeld und Sturm bildet. Ein Typ wie Sébastien Wüthrich.
Ausgerechnet dieser Wüthrich führt Servette am Freitagabend zum ungefährdeten 3:0-Sieg gegen die Aarauer. Ausgerechnet, weil Wüthrich in der vergangenen Saison noch das FCA-Trikot trägt, mit Vertrag bis 2018. Mit acht Toren und neun Vorlagen ist er hinter Geoffrey Tréand der zweitbeste Skorer. Doch nach nur einem Jahr im Brügglifeld sind beide wieder Geschichte.
Wüthrich im Kopf schon weg
Bei Tréand ist der Spielraum klein: Entweder Aarau lässt ihn zu Xamax ziehen oder er beendet die Karriere. Anders der Fall Wüthrich: Zwar hält er während der Rückrunde nicht mit seinem Unmut über Cheftrainer Marco Schällibaum hinter dem Berg – aber anders als Tréand hält er einen Verbleib in Aarau lange für möglich. Voraussetzung: Schällibaum muss gehen.
Weil die Klubführung viel zu lange wartet und Schällibaum erst nach dem letzten Spieltag entlässt, obwohl eine Zukunft mit dem Zürcher schon lange vorher undenkbar ist, macht sich Wüthrich auf die Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Beim Trainingsstart unter Schällibaum-Nachfolger Marinko Jurendic steht er zwar noch auf dem Platz, doch mit dem Kopf ist Wüthrich da längst bei Servette Genf, wo er wenige Tage später auch unterschreibt.
Nicht nur das Überlassen der besten zwei Spieler an die Konkurrenz – auch die Art und Weise der Transfers überrascht: Gemäss mehreren Quellen muss Servette für Wüthrich nur 80 000 Franken bezahlen, obwohl der 27-Jährige einer der besten Challenge-Spieler ist und Servette mit Rolex einen potenten Sponsor im Rücken hat. Der Verlust von Tréand und Wüthrich ist einer der vielen Kritikpunkte, mit denen das damalige Sportchef-Duo Raimondo Ponte und Roger Geissberger eingedeckt wird.
Wohin führt die Reise?
Sébastien Wüthrich blüht in Genf wieder auf. Er ist das Herz der Mannschaft, die von der individuellen Klasse in der Offensive lebt. In der 16. Minute schliesst Wüthrich einen Konter mit einem schönen Weitschuss zum 1:0 ab, eine Viertelstunde später trifft er nach brillanter Vorarbeit von Alexandre Alphonse zum 2:0. Wüthrich wird nach dem Spiel sagen: «Aarau war mit Abstand der schwächste Gegner in dieser Saison. Und wir haben schon gegen Rapperswil und Chiasso gespielt.»
Beiden Toren gehen (was sonst?) krasse Fehler der Aarauer voraus: Beim 0:1 ist es Siegfried, der den Ball verliert. Beim 0:2 zahlt Corradi im Direktduell mit Alphonse Lehrgeld. Beim 0:3 vertändelt Josipovic das Spielgerät.
Marco Corradi, Innenverteidiger mit Jahrgang 2000 und nur unregelmässiger Trainingsgast, ist Sinnbild der aus der personellen Not geborenen Startaufstellung. Vor dem Anpfiff muss auch noch Captain Jäckle verletzt passen. Trainer Jurendic bastelt aus den noch 13 gesunden Feldspielern eine Mannschaft, die er mit der Devise «Schadensbegrenzung» auf den Platz schickt. Denn nach den Gegentoren macht der FCA nicht den Eindruck, als wolle er den Rückstand wettmachen.
Aarau viel zu harmlos
15 Minuten lang ist der Auftritt nett anzusehen – mit einem Makel: Harmloser im Vorwärtsgang geht nicht. Nach dem 0:1 – man musste damit rechnen – fällt das Gerüst zusammen. Was auffällt: Die Genfer machen nie den Eindruck, als wären sie gefordert. Und dass Servette im Gegensatz zur starken Offensive über eine ungenügende Abwehr verfügt, fällt gegen die FCA-Softies nicht ins Gewicht.
Für die Aarauer ist die Dienstreise nach Genf entweder a) die sinnloseste der Klubgeschichte oder b) eine Lehrstunde – je nach Sichtweise. In der zweiten Halbzeit empfindet man auf der Tribüne phasenweise sogar Mitleid für die in allen Belangen unterlegenen Gäste. Zu deren Glück geht Servette vom Gas und erhöht durch Willie nur noch zum 3:0.
Mit Blick auf die nächsten Wochen gilt es festzuhalten: Vor dem Derby gegen Wohlen am 8. September muss Sportchef Sandro Burki den dringend gesuchten Führungsspieler verpflichtet haben. Und in den Partien gegen Wohlen, Chiasso und Rapperswil-Jona geht es um zwei Fragen: Führt die Reise des FC Aarau in dieser Saison tatsächlich in den Abstiegskampf? Und was passiert mit Trainer Marinko Jurendic, sollte der FCA nach dem ersten Saisonviertel immer noch auf den ersten Sieg warten?
Servette FC – FC Aarau 3:0 (2:0)
Stade de Genève : 2‘368 Zuschauer
Schiedsrichter : Luca Gut ; Didier Dubrit, Bastien Lengacher
Tore : 16‘ Wüthrich (1:0), 31‘ Wüthrich (2:0), 73‘ Barbosa (3:0)
Servette FC : Frick ; Sauthier, Sarr, Mfuyi (83‘ Nathan), Le Pogam ; Cespedes, Fabry ; M. Stevanovic, Wüthrich (68’ Barbosa), Lang ; Alphonse (77’ Imeri)
FC Aarau : Deana ; Corradi, Siegfried (79‘ Ciarrocchi), Thaler ; Perrier ; Thrier, Hammerich, Paulinho (66‘ Tasar), Mehidic ; Rossini (66‘ Josipovic), Itaperuna
Verwarnungen : 21‘ Sauthier, 67‘ Tasar, 86‘ Barbosa
Bemerkungen : Servette ohne Doumbia, Hasanovic, D. Stevanovic (Verletzt), Antunes, Busset, Bytyqi, Caslei, Castanheira, Da Silva, Lécureux, Lungoyi (Nicht im Aufgebot), SFC-Pflichtspieldebüt von Nathan ; Aarau ohne Besle, Cani, Giger, Jäckle, Misic, Nganga, Peralta (Verletzt), Browne, Joos (Nicht im Aufgebot)
Hier gibt’s die Hihlights zum Spiel!
Quelle: (aargauerzeitung.ch / 25.08.2017 23:22 Uhr / Sebastian Wendel)
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