Von Träumern und Realisten
Das Büro ist keine Wohlfühloase. Die Wände sind kahl, das Moderne an der spärlichen Einrichtung sind der Computer und ein Fernseher. Die Luft ist stickig, obwohl das Fenster zur lärmigen Strasse offen steht. Hinter dem Schreibtisch sitzt ein Mann, der Gemütlichkeit ausstrahlt und nicht den Eindruck erweckt, mehr zu brauchen als die Infrastruktur, die ihm auf dem Trainingsgelände in der Nähe des Genfer Flughafens geboten wird. João Alves ist 58, Portugiese und der Coach, der im Oktober 2009 in der Stadt ankam – und Servette in die Super League zurückführte.
Handschuhe als Markenzeichen
Alves ist nicht in Eile, das würde auch nicht zu ihm passen. Er spürt im Umfeld des Klubs zwar die Sehnsucht nach Höhenflügen, er kennt auch den Ehrgeiz seines Präsidenten, bis 2014 Meister zu werden. Aber so kühn die Erwartungen auch sind, so wenig lässt er sich nervös machen. «Ich bin dafür da, um Erfolg zu haben», sagt er. Und: «Ich bin von meinem Team oft positiv überrascht worden.»
Als Spieler war Alves eine Grösse von Benfica Lissabon. Mitgenommen hat er von dort vor allem eines: «Ich lernte zu siegen.» Er stand auch bei Paris St-Germain unter Vertrag, für Portugal brachte er es auf 36 Einsätze. Sein Markenzeichen waren Handschuhe. Er trug sie ständig, «auch bei 50 Grad in Saudiarabien». Es war eine Hommage an den Grossvater, der als Nationalspieler einst von einem Fan vor einem Länderspiel gegen Spanien ein Paar Handschuhe erhalten hatte und nach dem Sieg gegen den Nachbarn darauf nicht mehr verzichten wollte. Alves versprach dem Grossvater am Sterbebett, die Tradition fortzuführen. Später tourte er als Trainer durchs Land. «der Fussball ist mein Leben», sagt er.
Das gilt für die ganze Familie. Sohn Carlos ist bei Servette der Assistenztrainer. Seine Frau fuhr in der Challenge League selbst an Auswärtsspiele in die Provinz.Lange brauchte Alves nicht, um den Traditionsklub aus der sportlichen Trostlosigkeit zu führen. Seine Zwischenbilanz sagt: 32 Siege in 50 Meisterschaftspartien. Mit den Spielern pflegt er ein Verhältnis, als wären sie seine Söhne. Der Erfolg mit seiner Mannschaft trug ihm aber nicht automatisch eine Vertragsverlängerung und eine schöne Lohnerhöhung ein, weil Servette von Majid Pishyar regiert wird. Der iranische Unternehmer hatte die Idee, die Zusammenarbeit fortzusetzen, aber zu geringerem Salär. Die Empörung liess sich Alves kaum anmerken. Seine routinierte Reaktion: «Herr Pishyar ist ein Geschäftsmann, der hart verhandelt. Bluff gehört in solchen Gesprächen dazu.»
Der Präsident im Flugzeug
Pishyar also. 2008 tauchte er auf, hinter sich hatte er erfolglose Engagements im österreichischen Klubfussball. Mit offenen Armen wurde er in Genf nicht empfangen, zu frisch waren Erinnerungen an die schlimmen Machenschaften des Franzosen Marc Roger, der Servette in den Ruin getrieben hatte. Dem Investor aus der Fremde begegneten die Genfer mit Distanz. Von den kritischen Tönen fühlte sich Pishyar schnell verletzt. Aber bis heute ist der Klubeigentümer seinen Verpflichtungen nachgekommen. Pishyar ist CEO der 32 Group, einem Unternehmenskonglomerat wohlhabender Familien aus dem arabischen Raum, sein Vermögen bewegt sich angeblich in Milliardenhöhe. An bester Lage am Lac Léman hat er sein Büro, neulich kaufte er in Genf zwei Restaurants. Er hat in der Westschweiz einen Wohnsitz, aber er ist pausenlos unterwegs. Als er einmal gefragt wurde, wo er eigentlich lebe, deutete er nach oben: im Flugzeug. Bei Servette hat er seine Söhne Amin und Ehsan zu seinen Statthaltern erhoben. Und jetzt hat er mit Costinha einen prominenten Sportchef dazugeholt. Der Portugiese stand 2004 als Spieler im EM-Final.
Als die alten Klubverantwortlichen vor ein paar Jahren Wohnungen für ihre Spieler suchten, winkten die Vermieter schnell ab. Auf Geschäfte mit einem Servette ohne Zahlungsmoral mochte sich niemand mehr einlassen. Das Image des Vereins hat sich inzwischen gewandelt wie das Sponsorenverhalten. «Bis vor einem Jahr gab es kaum Unterstützung», sagt Medienchef Didier Rieder, «heute rufen Firmen von sich aus an.» Verbindliche Budgetzahlen gibt es trotzdem keine. Pishyar behauptete einmal, monatlich 500 000 Franken einzuschiessen. Wie viel Bluff dabei war, weiss nur er selbst.Der Meistertitel in drei Jahren soll aber erst der Anfang sein. Er träumt davon, mit Servette auch europäisch abzuheben. Schnell genug kann es ihm nicht gehen. João Alves’ Puls schnellt deswegen nicht in die Höhe. Er zeichnet mit den Händen einen Kreis in die Luft: «Der Ball ist auch in der Super League rund.» /
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/peter
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