Persönliche Meinung zur momentanen Situation
Mein Blick auf Corona und Fussball
Die Maroons sind eine Fanorganisation, die sich an eine andere Zielgruppe richtet, als andere Fangruppen im Umfeld des Servette FC. Wir registrieren keine "Mitglieder" und erheben keine Jahresgebühren. Wir versuchen ein Bindeglied zwischen Genf und der Deutschschweiz zu sein, und eine Brücke für Servettiens über den Röstigraben zu schlagen.
Bei dieser "Stellungnahme" handelt es sich um meine persönliche Einschätzung der momentanen Situation. Ich habe die Mitteilung der westschweizer Fanszenen gelesen und akzeptiere deren Einstellung. Auf Wunsch im Gästebuch, habe ich diese Zeilen zusammengefasst. Ich erwähne gerne nochmals, dass dieser Text nicht als offizielles Communiqué der Maroons zu verstehen ist.
Meine Einschätzung zur Corona-Krise
So mancher "Stammtischlaferi" wird zurzeit die Frage stellen, ob die Menschheit keine anderen Sorgen als Fussball hat. Pandemie, Rezession und Einschränkungen in unserem täglichen Leben machen der Psyche zu schaffen. Fussball sollte da definitiv nicht oberste Priorität haben. Auf der anderen Seite wäre der Fussball, wenn auch nur mit Geisterspielen, ein weiterer Schritt in die "Normalität". In den letzten Wochen hatten gefühlt 90% aller medialen Berichterstattungen mit Corona zu tun. Jedes Mittagessen im Büro, jeder private Austausch mit Skype, o.ä. Schnitt das Thema unweigerlich und berechtigterweise an. Wir befinden uns in einer Situation, die es in vergleichbarem Ausmass zuletzt vor 100 Jahren gab. Damals aber mit weniger medizinischen Möglichkeiten, weniger medialem Einfluss und einer weniger fortgeschrittenen Globalisierung. Diese Sachlage ist ein zweischneidiges Schwert. Würden wir mit demselben medizinischen Know-How agieren, wie vor 100 Jahren, würde heute niemand darüber debattieren, ob im Café um die Ecke 4 oder 6 Personen an einem Tisch sitzen dürfen. Dann wäre der "Mist" so richtig am dampfen und die Schweiz würde nicht "nur" 1'500 Tote verzeichnen. Auf der anderen Seite wird die Krise medial mit Expertenmeinungen, Ungewissheiten und selbstgemachten Skandalen aufgebauscht. Da überhaupt nichts anderes läuft, muss auch die Boulevardpresse ihre Zeilen voll kriegen. Dabei weiss niemand, was uns die Zeit bringen wird.
Uns muss aber auch im Klaren sein, dass wir nur aus einem Grund über die Wiederaufnahme der Saison diskutieren. Die Schweiz hatte, abgesehen von wirtschaftlichen Faktoren, die Situation ziemlich schnell unter Kontrolle. Wäre das nationale Gesundheitswesen so strapaziert worden, wie in anderen Ländern, würden wir nicht im Ansatz über Fussballspiele nachdenken. Das darf als positives Zeichen gewertet werden.
Sport als Ablenkung
Ich habe den Sport noch nie so vermisst, wie in den letzten zwei Monaten. Seien es "News" zum runden Leder, ein 4. Liga Unihockeyspiel oder das Fussballtraining mit der örtlichen 5. Liga-Mannschaft. Sport weckt Emotionen und lenkt den Geist, wenn auch nur kurzzeitig, vom Rest der Welt ab. Sitzen wir alle nur zu Hause, wird das Leben blass, eintönig und ernüchternd. Als einer der Webmaster dieser Seite wurden mir mit dem aktiven und passiven Fussball zwei meiner grössten Hobbies genommen. Wer die monatliche Anzahl Beiträge auf dieser Website vergleicht, der wird einsehen, dass ich nicht gerade die spannendsten zwei Monate meines Lebens verbracht habe. Hinzu kommt, dass ich in einer Branche arbeite, die während des Lockdowns starker Auslastung bei ungewissen personellen Ressourcen ausgesetzt war.
Im Weiteren stehen die Servette-Spiele für mich nicht nur im Zeichen des Fussballs. Durch die Maroons habe ich viele spannende Kontakte knüpfen dürfen und schweizweit gute Freunde gewonnen. Der Unterbruch der Meisterschaft bedeutet für mich gleichzeitig auch einen (teilweisen) Wegfall dieser sozialen Kontakte. Über WhatsApp lässt sich nicht gleich gemütlich diskutieren, wie im Zug nach Genf. ;-)
Stichwort "Geisterspiele"
Für mich gehören Fans zum Fussball dazu, wie Zwiebeln in den Kebab. Sie bringen die nötige Würze und komplettieren das fade Bouquet aus abgestandenen Tomaten, labbrigem Fleisch und einem Aufbackbrötchen zum "Aphrodisiakum" eines Nachtgängers. Es ist mir bis heute ein Rästel, wie man einen Kebab ohne Zwiebeln bestellen kann. ;-)
Nichtsdestotroz, und wenn es noch so schmerzt, sehe ich mir (momentan) lieber ein Fussballspiel vor leeren Rängen im TV an, als dass ich komplett darauf verzichten müsste. Das sieht auf den ersten Blick recht egoistisch aus. Mit dieser Meinung stehe ich aber sicherlich nicht ganz alleine da. Es wird viele Leute geben, die in den letzten Tagen und Wochen entweder finanzielle Einbussen machen mussten, ihren Job oder gar Angehörige verloren haben, sowie an der Grenze eines Burn-Outs standen.
Das sind Fakten, das sind Schicksale - und trotzdem wird nichts rückgängig gemacht, nur weil beim "Faktor Fussball" eine Saison abgebrochen oder fortgeführt wird. Wenn aber diese Personen nur ein bisschen ihrer Zwangsrealität entfliehen können und durch diese Ablenkung nicht in eine Depression rutschen, macht für mich die Wiederaufnahme des Spielbetriebs Sinn. Die gleiche Argumentation ist auch für andere Lockerungen anwendbar.
Gesundheitlicher Aspekt
Ein gesunder Profifussballer gehört in der Regel nicht in die Risikogruppe. Entsprechend müsste es zumutbar sein, dass die Spieler auf den Platz zurückkehren. Andere Arbeitnehmer setzen sich in undurchsichtigerem Arbeitsumfeld ebenfalls einem Infektionsrisiko aus. Trotzdem darf der "Faktor Mensch" nicht komplett ausser Acht gelassen werden. Lebt ein Spieler oder ein Staffmitglied in einem Haushalt mit stark gefährdeten Risikopatienten (z.B. Ehepartner mit Krebserkrankung und Chemotherapie), müssen individuelle Lösungen gefunden werden. Dies liegt in der Verantwortung der Vereine liegen, die als Arbeitgeber einer Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern unterliegen.
Zudem muss ein nachhaltiger Umgang mit Corona-Tests propagiert werden. Verschwenderisches Testen ohne Verdachtsfälle gilt es zu unterlassen, wenn gleichzeitig eine Knappheit an Tests in Spitälern verzeichnet wird.
Der moderne Fussball an der Beatmungsmaschine
Das Leben, wie wir es vor Corona kannten, wird vermutlich erst dann zurückkehren, wenn ein Impfstoff vorhanden ist. Ob und wann uns dieser zur Verfügung stehen wird ist ungewiss. Es ist jedoch klar, dass die schweizer Vereine schon vorher auf Einnahmen angewiesen sind. Der so oft getadelte "moderne Fussball" in den grossen Ligen, wird die Krise überstehen. Auch wenn er momentan an der Beatmungsmaschine hängt. Die internationalen Topklubs sind zu "Marken" geworden. Im Bankenjargon spräche man vielleicht sogar von "too big to fail". Es wäre eine Illusion zu denken, dass das Interesse an einem FC Barcelona, Manchester City, o.ä. innerhalb von zwei Jahren komplett einbrechen würde. Auch wenn in den nächsten Transferperioden weniger hohe Ablösesummen bezahlt werden sollten.
In der Schweiz ist die Kommerzialisierung noch nicht ganz soweit fortgeschritten. Noch länger anhaltende Einkommensausfälle würden Verein um Verein in den Konkurs treiben. Dabei ist stark zu bezweifeln, dass die sonst schon darbende Super League ohne ihre Traditionsvereine Zuschauer allgemeines Interesse wecken könnte. Wer würde z.B. für ein Kellerduell in der Super Leage (z.B. AC Brissago vs. SC Dornach) regelmässig durch die Schweiz reisen? Der hiesige Fussball könnte in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen werden. Junge Talente würden bereits in jungen Jahren ins Ausland abwandern. Die grösste Sportart der Schweiz wäre, kurz- bis mittelfristig gesehen, tot. Mit dem gleichen Argument nimmt übrigens Österreich den Meisterschaftsbetrieb im Juni wieder auf.
Viele Leute sehen nicht ein, dass ein Fussballverein aus mehr Personen besteht, als bloss einem Kader aus 23 Spielern. Etliche Konkurse würden auch Mitarbeiter/innen treffen, die in administrativen-, ausbildnerischen- oder weiteren Bereichen der Vereine mitwirken. Hinzu kämen Entlassungen bei Fernsehanstalten oder Zeitungen, weil das allgemeine Interesse am Fussball stark schwindet.
Haltung der Vereine zur Weiterführung der Meisterschaft
Um zu beurteilen, ob ein Abbruch der Meisterschaft weniger kostenintensiv ist, als eine Weiterführung mit Geisterspielen, müsste man Einsicht in die Bücher der Klubs haben. Diese Einsicht habe ich nicht. Klar ist, dass die Sozialkassen etwas entlastet würden, wenn die Profiteams keine Kurzarbeit mehr anmelden müssten. Dieses Szenario tritt jedoch nur ein, wenn die Meisterschaft wieder los geht.
Bei einem Saisonabbruch werden offene Geldbeträge von Teleclub und weiteren Geldgebern gar nicht, oder nicht im selben Ausmass ausgeschüttet. Hier werden die Vereine sicherlich den Fokus darauf legen, sich bei Neuverhandlungen anteilsmässig grössere, vorschüssige Auszahlungen zu sichern. Denn auch die neue Saison wird vermutlich nicht mit vollen Stadien starten dürfen. Somit befände man sich spätestens im Herbst wieder in derselben Situation, wie jetzt. Zudem droht eine Flut von Klagen aufgrund von verpasstem Aufstieg oder Europacupteilnahmen, die allesamt mit weiteren finanziellen Interessen für die Vereine einhergehen.
In Anbetracht aller Punkte tendiere ich zu einer Wiederaufnahme der Meisterschaft. Wenn die weitere Existenz der Vereine aber nur gewährleistet werden kann, wenn man die Spielzeit abbricht, kann ich ebenfalls gut damit leben.
Persönlich hoffe ich aber, dass wir möglichst bald wieder live im Stadion dabei sein dürfen. Bis dahin wünsche ich allen beste Gesundheit!
Allez les Grenats!
Peter