Wenn man von erfolgreichen deutschen Profis im Fußball-Ausland spricht, denkt man für gewöhnlich sofort an große Namen, die in den europäischen Top-Ligen aktiv sind. Doch auch fernab des großen Trubels gibt es Akteure, die aufgrund ihrer Leistungen mehr ins Rampenlicht gerückt werden müssten. Zu dieser Kategorie gehört Patrick Pflücke. Seit August 2020 spielte der 25-Jährige für den niederländischen Zweitligisten Roda Kerkrade und war für den Klub so etwas wie Leistungsträger, Torjäger und Lebensversicherung in einem. Bei Transfermarkt spricht er über seine abwechslungsreiche Laufbahn, Rückschläge, Lehren, große Dankbarkeit und seinen nächsten Schritt zum Servette FC.
Schaut man Patrick Pflücke aufmerksam zu, stechen immer wieder sein Spielwitz bzw. seine Spielfreude heraus, genauso hat er den Blick für den besser positionierten Mitspieler, agiert spritzig und voller Ideen. Quasi so, wie es sich ein Trainer von einem Offensivspieler wünscht. Für Pflücke hat Roda Kerkrade etwas von einer Wohlfühloase. Dieser Begriff hat für Pflücke einen besonderen Stellenwert, denn er erlebte in seiner jungen Karriere schon andere Dinge. Insbesondere, wenn man mit ihm über die Entwicklungen und Vergangenes aus den Jahren 2018 bis 2020 in Uerdingen spricht.
„Für mich ist eine Wohlfühloase ein Verein, bei dem Strukturen stimmen und wo man sich ganz allein auf Fußball konzentrieren kann, ohne sich Sorgen machen zu müssen, ob man zum Beispiel sein Gehalt bekommt oder einen Platz zum Trainieren hat. Ich glaube, damit ist schon fast beantwortet, warum in Uerdingen keine Wohlfühloase existierte. Beim KFC haben die Rahmenbedingungen nicht gestimmt, sodass der Fußball nicht der Mittelpunkt im Verein war“, sagt der Linksfuß. Mit 21 Jahren war er zum damaligen Drittligisten KFC Uerdingen gewechselt. Beim ambitionierten Verein wollte er den Durchbruch im Profifußball schaffen, der ihm zuvor in Dortmund und Mainz verwehrt geblieben war.
Pflücke über KFC-Zeit: „Wurde zu dem Zeitpunkt falsch beraten“
Doch wirkliche große Möglichkeiten, sich in Szene zu setzen, ergaben sich nicht. In den zwei Jahren beim KFC wechselte er ständig zwischen den Rollen des Ersatz- und Stammspielers. Am Ende kam Pflücke auf mickrige vier Tore in 50 Partien. Zusätzlich kehrte beim KFC Uerdingen mit dem damaligen Investor Mikhail Ponomarev nie Ruhe ein. Von verspäteten Gehaltszahlungen, schlechten Trainingsplätzen und fehlenden Physiotherapeuten war die Rede. „Für mich war es im Nachhinein gesehen die falsche Entscheidung, zum KFC zu gehen. Ich wurde zu dem Zeitpunkt falsch beraten und hätte noch ein Jahr länger beim BVB spielen sollen, um danach den nächsten Schritt zu gehen. Also sind es in dem Sinne zwei verlorene Jahre“, erklärt Pflücke, der in Uerdingen auch seinen persönlichen Tiefpunkt erreichte.
„Der schlimmste Moment, an den ich heute immer noch denke, war, als der eigene Trainer zu einem Mitspieler von mir sagte, nachdem er einen körperlichen Zweikampf gegen mich verlor: ‚Wie kannst du gegen Paddy Pflücke, der 1,20 Meter groß ist, einen Zweikampf verlieren?‘. Der Satz hat sich bei mir ins Gehirn gebrannt“, erzählt Pflücke offen. Während der Uerdingen-Zeit erinnert sich der Mittelfeldspieler immer wieder an die Lobeshymen, die zu Anfang seiner Karriere auf ihn eingeprasselt waren. Als „größtes Talent“ wurde er bei Dynamo Dresden gefeiert. Seine Leistungen in den Jugendmannschaften der Elbestädter überzeugten Bundesligavereine wie auch europäische Top-Klubs aus England, Frankreich, Italien. Sogar der FC Barcelona streckte seine Fühler nach ihm aus. Am Ende entschied er sich mit seiner Familie für einen Wechsel zum FSV Mainz 05.
Interesse von Top-Klubs war für jungen Pflücke „überwältigend“
„Natürlich ist es für einen 14-Jährigen überwältigend, wenn Vereine wie Barcelona, Inter Mailand oder Manchester United einen beobachten und gerne unter Vertrag nehmen möchten. Natürlich fragt man sich, was passiert wäre, wenn man ein solches Angebot angenommen hätte. Ich bin aber ein harmoniebedürftiger Familienmensch, deswegen war es damals für mich klar und kam mir auch nicht in den Kopf, ins Ausland zu wechseln. Ich habe diesen Hype um mich auch nicht als solchen aufgefasst, weil ich einfach nur Fußball spielen wollte und mich alles weitere nicht interessiert hat. Genauso habe ich mich vom Charakter her auch nicht verändert und bin derselbe Patrick wie damals, ohne negative Eigenschaften wie Arroganz oder Abgehobenheit“, sagt Pflücke.
„Die Jugendzeit bei Mainz lief aus meiner Sicht sehr erfolgreich. Ich bin immer auf meine Spielzeit gekommen und konnte durch das Vertrauen meine Tore und Vorlagen erzielen, sodass ich ein wichtiger Teil der jeweiligen Mannschaft wurde“, blickt Pflücke weiter auf seine Anfänge zurück. Bei den Mainzern sah es so aus, als würde sein Weg steil nach oben gehen. Ausgerechnet gegen den FC Bayern München durfte der damals 18-Jährige am 19. Dezember 2014 debütieren – und setzte sich dabei sogar in einem Eins-gegen-eins-Duell gegen Franck Ribéry durch. Doch an irgendeiner Stelle bog er falsch ab. Anstatt in der Bundesliga weiter frech aufzuspielen, fand er sich nur noch bei der Zweitvertretung der Nullfünfer wieder.
Pflücke: In Mainz „vielleicht ein wenig zu sehr auf mein Talent verlassen“
„Zunächst einmal war und ist mit meinem Bundesliga-Debüt ein großer Traum für mich in Erfüllung gegangen. In den ersten Sekunden nach der Einwechselung habe ich an den sechsjährigen Patrick zurückgedacht, der als Kind einfach nur davon geträumt hat, irgendwann in der Bundesliga mit den ganzen Stars auflaufen zu dürfen. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich vieles auch nicht wirklich realisiert habe, weil sich diese Minuten angefühlt haben, als würde man in Trance sein. Es war alles so überwältigend, vor allem, wenn man zur Seite schaut und dann auf einmal aus nächster Nähe einen Pep Guardiola sieht“, erzählt Pflücke, dem die Freude über sein damaliges Bundesligadebüt noch heute anmerken ist. Das anschließende Abtauchen in die zweite Mannschaft der Mainzer sorgte für einen mentalen wie auch sportlichen Knick.
„Von heute auf morgen wieder bei der Reserve zu sein, war sehr, sehr schwierig für mich. Zumal ich auch nie eine wirkliche Antwort darauf bekommen habe, warum ich nach meinem Debüt keine weiteren Chancen erhielt. Ich habe mich damals vielleicht ein wenig zu sehr auf mein Talent verlassen, was ich heute nicht mehr mache. Jedoch hätte ich mir ein ehrliches Feedback gewünscht, bezogen auf die Dinge, bei denen ich mich verbessern kann, um wieder anzugreifen“, betont der gebürtige Dresdener. 2017 folgte sein Wechsel zu Borussia Dortmund II, bevor es ihn über den „Stolperstein“ Uerdingen zu Roda Kerkade führte. Hier gewann er sofort die Herzen der Fans und entwickelte sich ohne Eingliederungsprobleme zum Stammspieler und Leistungsträger.
„Roda Kerkrade hat mir all das gegeben, was ich zuvor vermisst habe. Durch Roda habe ich zuallererst den Spaß und die Liebe zum Fußball wieder gefunden, die ich damals beim KFC verloren habe. Ich habe das Vertrauen vom Trainer direkt gespürt. Die Fans nahmen mich unfassbar positiv und gut auf. Ich konnte wieder ich selbst sein und mein Spiel spielen. Zudem habe ich mich sowohl sportlich als auch menschlich weiterentwickelt, und dafür bin ich dem ganzen Verein für immer dankbar. Ohne Roda wäre ich keine Ahnung wo. Das Vertrauen und die Liebe, die ich vom ganzen Verein bekommen habe, war unglaublich für mich und der Grund, warum ich mich so weiterentwickeln konnte“, macht der 25-Jährige unmissverständlich klar.
Eine große Rolle bei seiner jetzigen Entwicklung spielt seine Frau Yvonne, aber auch die persönliche Reflektion, wie er offen und direkt anspricht. „Als ich meine Frau kennenlernte, hat sie mich ehrlich gefragt, was mit mir und meinem Talent passiert sei. Sie hat sich alte Partien von mir angeschaut, diese mit denen beim KFC verglichen und hatte das Gefühl, zwei verschiedene Spieler gesehen zu haben. Das war für mich ein so einschneidendes Ereignis, dass ich angefangen habe, mich, mein Spiel, meine Einstellung und mein gesamtes Umfeld zu hinterfragen und teilweise aufzuräumen. Ich bin so weit gegangen, dass ich – wie sagt man so schön – jeden einzelnen Stein umgedreht und alles optimiert habe, um wieder die Leichtigkeit zu bekommen. Zudem habe ich eine tolle Frau an meiner Seite, die mich fördert, mir aber gleichzeitig auch knallhart den Spiegel vor das Gesicht hält“, so der Linksaußen, der dem jetzigen persönlichen Erfolg auch größere Bedeutung zukommen lässt.
Pflücke schätzt Erfolg mehr als früher – Entscheidung für den Servette FC
„Ich genieße und schätze den Erfolg deutlich mehr als vor ein paar Jahren. Vor allem mit dem Hintergrund, dass ich durch die Scheiße gegangen bin. Dementsprechend bin ich extrem dankbar und froh über die zweite Chance, die ich jetzt nochmal bekam, weil diese in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich ist“, sagt Pflücke. In der ersten Spielzeit bei Kerkrade kam er auf 13 Tore und fünf Vorlagen. Diese Werte toppte er in der abgelaufenen Saison mit 14 Toren und 14 Vorlagen. Damit führte er seinen Klub bis in die Aufstiegsplayoffs, wenngleich es nicht ganz für den großen Coup reichte und der Aufstieg am Ende verpasst wurde. Für Roda Kerkrade ist der verpasste Aufstieg nicht nur aus finanzieller Hinsicht ein Verlust, denn durch den Nichtaufstieg verliert der Verein auch seinen Leistungsträger: Pflücke lässt seinen zum Saisonende laufenden Vertrag auslaufen.
Die Wahl seines neuen Klubs Servette FC, dem Schweizer Erstligisten, wirkt auf den ersten Augenblick sehr überraschend, schließlich wäre es offenbar möglich gewesen, nach Deutschland in die 2. Bundesliga zu wechseln. Doch bei näherer Betrachtung ist der 17-malige Schweizer Meister eine nachvollziehbare und schlüssige Wahl, weil sich Genf unter Sportdirektor Philippe Senderos auf die Fahne geschrieben hat, junge, hungrige Spieler zu fördern und ihnen ein Sprungbrett zu bieten.
„Für mich ist Servette der richtige und nächste Schritt in eine wirklich gute Liga. Ich habe von Anfang an großes Interesse vom Verein gespürt. Gepaart mit der Idee, wie der Verein spielen möchte, hat mich das dazu bewogen, mit voller Überzeugung bei Servette zu unterschreiben. Nach all den schwierigen Jahren in Deutschland habe ich dank Kerkrade meine Liebe und Leidenschaft zum Fußball wiederentdeckt. Ich möchte mit dieser Euphorie meine Entwicklung nun in der Schweiz vorantreiben und mit Servette maximalen Erfolg erzielen“, sagt Pflücke zum Abschluss.
Quelle: (transfermarkt.de / 19.06.2022 10:22 Uhr / Holger Stadnischenko)
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